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Nie wieder Auschwitz!

Zeitzeugin Eva Weyl zu Gast am Städtischen Gymnasium Straelen

Im Forum des Städtischen Gymnasiums war es mucksmäuschenstill als die 81-jährige Eva Weyl von ihrem Leben im nationalsozialistischen Durchgangslager in Westerbork in den Niederlanden berichtete. Rund 130 Schülerinnen und Schüler der Oberstufengeschichtskurse folgten dem Vortrag anlässlich des Holocaust-Gedenktages „Wider das Vergessen“ sehr gebannt. „Euch trifft keine Schuld für die deutsche Vergangenheit“ sagte die gebürtige Niederländerin gleich zu Beginn, nahm ihre Zuhörer jedoch gleichzeitig in die Pflicht: „Aber ihr seid verantwortlich für das, was heute geschieht. Ihr müsst die Geschichte lebendig halten!“.

Mit Hilfe von persönlichen Fotos und geschichtlichen Dokumenten erzählt sie ihre ergreifende Geschichte. Ihre Familie stammte aus Kleve, wo der Vater ein großes Textilkaufhaus betrieb. Bereits Anfang der 1930er Jahre entschlossen sie sich Deutschland zu verlassen, da die nationalsozialistische Propaganda unter der Parole "Die Juden sind unser Verderben" immer mehr Anklang in der Bevölkerung fand. Es waren insgesamt 20 000 bis 30 000 jüdische Flüchtlinge, die in diesem Zeitraum Zuflucht in den Niederlanden suchten. Die Familie Weyl ließ sich in Arnheim nieder, wo die junge Eva ihre frühe Kindheit verbrachte. Da es mittlerweile so viele Auffangstellen für Flüchtlinge gab, beschloss die niederländische Regierung bereits Anfang 1939 ein zentrales Flüchtlingslager zu errichten. Als Standort wählte man eine unbewohnte Heide in der Gemeinde Westerbork bei Groningen, nahe der deutschen Grenze. Das Komitee für jüdische Flüchtlinge musste für die Baukosten aufkommen. Die ersten Flüchtlinge kamen am 9. Oktober 1939 in das Lager.

Als die Nationalsozialisten im Mai 1940 im Nachbarland einmarschierten, hatte die Juden der Nationalsozialistische Terror wieder eingeholt. Kurz zuvor entwickelte Evakuierungspläne scheiterten und die Besatzer begannen das Lager sukzessive auszubauen. Anfang 1942 wurde erneut eine Vielzahl von neuen Baracken errichtet und alle deutschen Juden, die sich in den Niederlanden aufhielten, wurden im Juli desselben Jahres nach Westerbork deportiert. So kam auch die 6-jährige Eva zusammen mit ihren Eltern in das Durchgangslager. Sie war in einen dicken Wintermantel gesteckt worden, in dessen Knöpfe die Mutter den Familienbesitz in Form von Brillanten eingenäht hatte; so konnte die Familie ihren Besitz über die Lagerzeit retten. Diese trägt sie heute in einem umgearbeiteten Ring, der nicht weitervererbt, sondern nach ihrem Tod zur Erinnerung in der Gedenkstätte Westerbork ausgestellt wird.

Der erste Transportzug Richtung Auschwitz verließ am 15. Juli 1942 das Lager. Dort stellte der Lagerkommandant, SS-Obersturmführer Albert Konrad Gemmeker nach den Beschlüssen der Wannsee-Konferenz einmal pro Woche eine Liste mit ca. 1000 Insassen des Lagers zusammen. Insgesamt 97 Züge fuhren in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen und Theresienstadt. Auch Anne Frank und Leni Valk standen auf diesen Listen, die einem Todesurteil gleichkamen, ohne dass die betroffene Lagerinsassen dies ahnten.

Die Nationalsozialisten errichteten eine „Scheinwelt“, um eine möglichst schnelle und reibungslose Deportation der Juden zu gewährleisten. Barsches Auftreten und Gewalt hätten Widerstand bei den Gefangenen ausgelöst. Deshalb beschreibt Eva Weyl das Lagerleben aus ihrer Kinderperspektive als durchaus erträglich. So gab es eine jüdische Selbstverwaltung, Eva ging regelmäßig zur Schule und ein großes Krankenhaus wurde intensiv genutzt. Kranke oder verletzte Juden wurden hier gesund gepflegt bevor sie auf den Transport Richtung Osten geschickt wurden. Lagerkommandant Gemmeker legte sogar Wert auf Kabarett, Theater und andere kulturelle Beiträge, die zur Unterhaltung dienen sollten. Die Insassen durften Briefe schreiben und regelmäßig Lebensmittel-Päckchen bekommen. Es war „alles Lüge und Betrug“! Konrad Gemmeker sei in Eva Weyls Augen ein „Gentleman-Verbrecher“ gewesen. Bereits 1941 erhielt dieser den Befehl aus Berlin, dass die Niederlande schnellstmöglich „judenfrei“ sein sollten.

Im Lager „gab es Gerüchte aus dem Osten“, so berichtet Eva Weyl, aber man habe nicht glauben wollen, „dass man Menschen erst genesen ließ, um sie dann im Osten umbringen zu lassen“. Dreimal stand sie selbst mit ihrer Familie auf der Liste, konnte jedoch durch glückliche Umstände dem entgehen. So erlebte sie im April 1945 die Befreiung des Lagers durch kanadische Soldaten. Während des Krieges waren im Durchgangslager Westerbork insgesamt 107.000 Menschen interniert – nur 5 000 überlebten.

Albert Konrad Gemmeker wurde nach der Befreiung verhaftet und im Januar 1949 zu zehn Jahren(!!) Haft verurteilt. Gemmeker berief sich darauf, nicht gewusst zu haben, was die Menschen nach der Deportation in den Osten erwartete. Auf Grund dessen wurde er bereits 1951 vorzeitig entlassen. Er kehrte nach Düsseldorf zurück und war dort als Kaufmann tätig. Seine Unkenntnis über die Vorgänge erscheint aus der heutigen Perspektive als wenig glaubhaft, zumal die Züge von SS-Einheiten, die später wieder nach Westerbork zurückkehrten, begleitet wurden.

Eva Weyl lebt heute in Amsterdam und trägt ihre Lebensgeschichte als Zeitzeugin der Gedenkstätte Westerbork vornehmlich der jungen Generation vor. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand ihrer Lebensgeschichte über die unbeschreiblichen Ereignisse im Dritten Reich, über „eine Welt, die verrückt war“, aufzuklären. Während ihres Vortrags ermuntert sie deshalb immer wieder die Jugendlichen, sich über das historische Geschehen zu informieren: „Googelt doch mal! Ihr seid so viel im Internet unterwegs.“ Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich auch bei der anschließenden Fragerunde noch sehr ergriffen und betroffen von den Erzählungen. „Ihr habt die Wahl, lernt aus der Geschichte!“ lautete Frau Weyls abschließender Rat, die auch im nächsten Jahr gerne wieder Station in Straelen machen würde.

(Daniel Oster)